Liebe Leserinnen und Leser
Ein uralter menschlicher Traum scheint sich in diesen Tagen vor unseren Augen zu erfüllen: Die Unsterblichkeit des Menschen! Allerdings realisiert sich der Traum etwas anders, als wir uns das wohl gedacht haben … nämlich nicht, indem wir Krankheit und Tod definitiv besiegen, sondern mit Künstlicher Intelligenz.
Ein Dokumentarfilm zeigt, wie das möglich ist: Künstliche Intelligenz wird trainiert mit allen Aussagen, Texten, Briefen, Interviews eines Menschen. Im Idealfall sind auch Tonaufnahmen, Bilder, Videobeiträge usw. verfügbar. Trainiert mit diesen Daten, können wir uns dann sogar mit Verstorbenen unterhalten. Künstliche Intelligenz liefert Antworten, die verblüffend, fast verstörend echt klingen.
Klingt das nicht toll? Einen Menschen zu verlieren, den wir lieben, ist etwas vom Schmerzlichsten, das wir erleben. Endlich scheint es dagegen ein wirkliches Mittel zu geben. Auf immer und ewig können wir unsere Liebsten bei uns behalten, sie um Rat fragen, Erlebnisse teilen, lachen, schäkern… was auch immer. Gegebenenfalls kann die KI auch sprechen oder realitätsnahe Videos produzieren. Himmel auf Erden!
Himmel auf Erden? Da stellen sich allerdings auch Fragen … Die Gespräche mittels KI fühlen sich zwar verblüffend echt an, aber es findet keine Entwicklung mehr statt. Gefüttert mit den früheren Daten, basieren die Gedanken der Künstlichen Intelligenz immer auf dem bereits Gesagten und dem bereits Gedachten. Ist es nicht gerade das, was eine Beziehung ausmacht, dass wir miteinander weiter wachsen, Neues entdecken, uns verändern? Und dazu: So schmerzlich ein Trauerprozess ist: Ist es wirklich gesund, im Vergangenen stehen zu bleiben? Ein Trauerprozess bedeutet ja letztlich, sich mit einer neuen Realität abzufinden, Veränderung zuzulassen … und sich nach Trauer und Schmerz auch wieder neu zu öffnen, für neue Begegnungen, neue Menschen, neue Erfahrungen.
Der Film „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ lohnt sich, lädt ein zum Nachdenken. Er zeigt, welche grundsätzlichen Herausforderungen mit Künstlicher Intelligenz auf uns zu kommen. Ein zweiter Film zeigt nämlich: Sie macht uns in vielerlei Hinsicht unnötig. Im Film „Better Than Human“ wird die Frage gestellt, wo uns Künstliche Intelligenz ersetzen kann – und zwar in Tätigkeiten oder Funktionen, die wir bisher als zutiefst menschlich beurteilt hätten … als Freundin oder Freund, als Psychologin, als Pfarrer. Und gleich noch ein Beitrag zeigt auf, dass immer mehr Menschen ihre Partner und Freunde durch KI ersetzen.
Die Beiträge zeigen für mich deutlich, welchen Fragen wir uns im Kontext von Künstlicher Intelligenz stellen müssen. Je mehr Aufgaben Künstliche Intelligenz übernimmt, umso mehr wird für uns die Frage wichtig: Was macht uns denn als Menschen aus? Wenn Künstliche Intelligenz besser zuhört, dann stellt das doch die Frage, wie wir denn besser zuhören können. Wenn Menschen Künstliche Intelligenz einer Freundschaft vorziehen, dann müssen wir uns doch fragen, wie wir denn Freundschaft so pflegen können, dass sie anders ist, mehr, tiefer, echter als eine „Partnerschaft“ mit KI. Je mehr wir uns darüber klar werden, was Menschsein im Kern ausmacht, je mehr wir unsere Menschlichkeit pflegen, umso weniger werden wir ersetzbar. Menschsein heisst Freude und Begeisterung erleben, Lieben und Leiden, Mitfühlen und Anteil nehmen, Fehler machen und Bereuen, Straucheln und wieder Aufstehen, sich Sorgen, Zweifeln, Hoffen …
Eines macht diese Auseinandersetzung deutlich: Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz ist nicht ein kleiner Schritt der Innovation, etwas mehr Effizienz, ein neues Tool … Wir stehen offensichtlich an einer Schwelle in der menschlichen Geschichte, in der wir ganz grundsätzlich die Frage stellen müssen, welche Rolle wir dem Menschen in dieser Welt zuweisen.
Genau das bringt auch der neue Papst Robert Francis Prevost allein schon mit seiner Namenswahl zum Ausdruck. Mit der Namenswahl als Papst Leo XIV. macht er diesen bedeutenden Schritt deutlich. Leo XIII. war von 1878 bis 1903 Papst und legte damals den Grundstein für die moderne katholische Soziallehre. Seine Enzyklika „Rerum novarum“ befasste sich 1891 mit den Arbeitnehmerrechten und dem Kapitalismus zu Beginn des Industriezeitalters. Genau wie es Leo XIII darum ging, im Industriezeitalter die Würde des einzelnen Menschen zu schützen, sieht Leo der XIV. seine Aufgabe darin, die Menschenwürde im Kontext der Künstlichen Intelligenz zu wahren. Die Industrialisierung hat uns unzählige Chancen und Möglichkeiten gebracht. Genauso sieht der Papst auch Chancen in der Nutzung Künstlicher Intelligenz – allerdings eben nicht automatisch, sondern nur dann, wenn wir bei Entwicklung und Anwendung die Menschenwürde voranstellen.
Mit freundlichen Grüssen
Thomas Merz
Mitglied Stiftungsrat Think Tank Thurgau
Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit – CH:Filmszene
Menschen aus aller Welt nutzen Services, die mit künstlicher Intelligenz Tote «zum Leben erwecken». Der Film begleitet die Pioniere und ersten User einer Technologie, die den Tod obsolet machen will.
Die Dokumentation von Hans Block und Moritz Riesewieck geht der Frage nach, inwieweit solche Avatare eine Art Unsterblichkeit ermöglichen können und welche ethischen Herausforderungen diese KI-Technologien mit sich bringen. Die Möglichkeit, Abschied zu nehmen und Trost zu finden, steht im Kontrast zu der Frage, wem diese Innovation letztendlich dient und wer die grössten Profiteure sind.
Um herauszufinden, ob Menschen zu einer Künstlichen Intelligenz Emotionen aufbauen können, führt die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder ein wundersames, aber ebenso unheimliches Experiment vor, das eigens für diese Dokumentation durchgeführt wurde.
In „Better than Human? Leben mit KI“ werden auf Basis von ChatGPT in einer eigenen App drei verschiedene KI-Charaktere erschaffen: ein „Pfarrer“, eine „Therapeutin“ und eine „beste Freundin“ – jeweils nach realen, menschlichen Vorbildern, die auch selbst im Film eine Rolle spielen.
Wie ist es, einen KI-Partner an der Seite zu haben? Was vor einigen Jahren noch als undenkbar abgetan wurde, ist heute für zahlreiche Menschen Realität. Erst kürzlich zeigte eine österreichische Studie von Parship, dass 4 von 10 Österreicher KI-Tools beim Dating einsetzen.
Papst würdigt vor Politikern UNO-Erklärung der Menschenrechte – Vatican News
In seiner Rede an Regierende beschäftigte sich der Papst namentlich mit dem Thema Künstliche Intelligenz. „Diese Entwicklung wird der Gesellschaft sicherlich von großem Nutzen sein, vorausgesetzt, dass ihr Einsatz die Identität und Würde des Menschen und seine Grundfreiheiten nicht untergräbt. Insbesondere darf nicht vergessen werden, dass Künstliche Intelligenz als Werkzeug zum Wohle der Menschen dienen muss und nicht dazu, sie zu schmälern oder gar zu ersetzen. Was sich hier abzeichnet, ist eine bedeutende Herausforderung, die große Aufmerksamkeit und Weitsicht erfordert. Es geht darum, gesunde, faire und solide Lebensweisen zu entwerfen, insbesondere zum Wohle der jüngeren Generationen.“
Das persönliche Leben der Menschen sei wichtiger „als jeder Algorithmus“, so Papst Leo. Soziale Beziehungen bräuchten „Entwicklungsräume“, die über alles hinausgingen, was eine „seelenlose Maschine“ vorab festlegen könne.
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